Reifegrad
R 2.0.0
Beschreibung
Reifegrad
Jeder Testprozess kann in einen bestimmten Reifegrad eingestuft werden. Innerhalb des Testprozesses hat jeder Kernbereich eine bestimmte Reife, wobei jeder Reifegrad durch bestimmte Aspekte charakterisiert ist.
Beginnend beim Reifegrad "Initial" kann sich ein Testprozess über die Reifegrade "Kontrolliert" über "Effizient" bis zu "Optimierend", dem höchsten Reifegrad, entwickeln. Mit Erreichen eines höheren Grads nimmt die Reife des Testprozesses zu und der geschäftliche Mehrwert steigt.
Kernbereiche
Das Geschäftsbasierte TPI-Modell besteht aus 16 Kernbereichen, die es ermöglichen, den Testprozess detailliert zu bewerten und schrittweise zu optimieren. Der Reifegrad jedes Kernbereichs kann separat gemessen werden. In ihrer Gesamtheit umfassen die Kernbereiche alle Aspekte des Testprozesses.
Die Kernbereiche werden in drei Kategorien eingeordnet:
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Stakeholderbeziehungen (SB)
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Testmanagement (TM)
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Testkomponenten (TK)
Durch diese Klassifizierung der Kernbereiche in der Testreifematrix eines Testprozesses deutlich erkennbar.
Hier sind 16 Kernbereiche:
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Reifegrade
Reifegrad "Initial"
Der Testprozess besteht aus Ad-hoc-Aktivitäten.
Was das Lehrbuch schreibt (2011:30):
"Ein Testprozess, der den Reifegrad "Initial" hat, besteht aus verschiedenen, unzulänglich dokumentierten Testaktivitäten, die ad hoc durchgeführt werden. Der Blick ist darauf gerichtet, ob (oder wie) eine Software überhaupt funktioniert, und nicht darauf, ob sie anforderungs- und spezifikationsgemäß funktioniert. Ein solcher Testprozess bietet nur unzureichende oder unsystematische Informationen über bestehende Risiken und die Qualität des Testobjektes sowie über die Qualität des Testprozesses selbst. Die Testaktivitäten befinden sich oft auf dem kritischen Pfad des Projektes und verursachen häufig Projektverzögerungen, insbesondere dann, wenn Fehler erst spät gefunden werden. Die Qualität des Testprozesses hängt typischerweise von einer oder mehreren "heldenhaften" Schlüsselpersonen ab."
"Ad hoc" bedeutet also ein nicht besonders geplantes und wenig gesteuertes Vorgehen. Die zahlreichen Ergebnisse und Erkenntnisse aus den unterschiedlichen Testaktivitäten und qualitätssichernden Maßnahmen werden nicht zusammengeführt und dienen nicht als Basis einer Risikobestimmung und -bewertung. Demzufolge findet auch nur ein eingeschränkter Informationsaustausch zwischen Test und Qualitätssicherung sowie der Projektsteuerung statt.
Damit sind wesentliche Merkmale des Fundamentalen Testprozesses der ISTQB nicht vollständig implementiert. Testaktivitäten sind niedrig priorisiert und werden nur dann durchgeführt, wenn es freie Ressourcen gibt (und nicht etwa Ressourcen werden zugeteilt um bestimmte Aktivitäten durchführen zu können). Im schlimmsten Fall haben sie nur noch Alibifunktion. Typische Konsequenzen sind: Beobachtung von neuen Fehlerwirkungen kurz vor oder nach einer Inbetriebnahme (eine häufige Ursache stellt der Kontakt mit Echtdaten dar). Hektisches Bereitstellen von last-minute-fixen, die dann nicht mehr ausreichend integriert getestet werden können, Ad-hoc-Bereitstellung von Softwarepatchen ohne geregelten Terminkalender ("Patchday").
Weitere Indikatoren sind: Fehlen eines Testmanagementwerkzeuges, sporadischer Einsatz von Bugtrackern, fehlende Reviews, fehlende Metriken, mangelndes Reporting.
Reifegrad "Kontrolliert"
Alle wichtigen Aktivitäten des Testprozesses werden geplant und durchgeführt.
Was das Lehrbuch schreibt (2011:30):
"Der erste wichtige Schritt zu einem reifen Testprozess widmet sich den Aktivitäten, die durchgeführt werden müssen. Ein Testprozess dieses Reifegrads bietet Mittel und Wege, den Prozess zu kontrollieren und zu steuern. Er liefert ausreichende Transparenz über die Qualität des Testobjektes. Die Effektivität des Testprozesses ist dadurch erhöht, dass er einen früheren und besseren Einblick in die Qualität ermöglicht, rechtzeitige Korrekturmaßnahmen zulässt und das Risiko von Verzögerungen aufgrund unzureichender Produktqualität verringert.
Die Kontrollpunkte des Geschäftsbasierten TPI-Modell für den Reifegrad "Kontrolliert" zielen darauf ab, dass die Wichtigkeit von Aktivitäten erkannt wird, und nicht auf die Art und Weise, wie diese Aktivitäten ausgeführt werden. Der letzte Aspekt wird im Reifegrad "Effizient" adressiert."
Im Mittelpunkt dieses Reifegrades stehen zwei Prozessschritte des Fundamentalen Testprozesses der ISTQB, nämlich "Planung" und "Überwachung und Steuerung".
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"Planung" definiert die Testobjekte und konkreten Testziele und richtet danach eine Zeit- und Ressourcenplanung aus.
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"Durch Überwachung und Steuerung" werden Testfortschritte anhand von Abdeckungs- und Zielerreichungsgraden gemessen. Durch das kontinuierliche qualitative und quantitative Aufbereiten und Berichten dieser Messwerte liefert nun die Qualitätssicherung wichtige Daten an die Projektsteuerung. Diese können dazu führen, dass Projektpläne angepasst werden, oder Leistungsumfänge reduziert oder (seltener) erweitert werden. Messdaten aus den Testaktivitäten sind wichtige Größen, wenn es darum geht, Produkt- und Projektrisiken zu bestimmen.
Wenn dieser Reifegrad erreicht ist, ist die QS ein integrierter Bestandteil des Projektes und dient nicht nur als nachgelagerter Reparaturbetrieb.
Reifegrad "Effizient"
Die Aktivitäten des Testprozesses werden so aufeinander abgestimmt, dass es zu einem günstigeren Kosten-Nutzen-Verhältnis kommt.
Was das Lehrbuch schreibt (2011:31):
„Wenn die richtigen Aktivitäten durchgeführt werden, besteht der nächste Schritt darin, die Art ihrer Durchführung zu verbessern. Die verschiedenen Elemente und Aspekte des Testprozesses können so kontrolliert und gesteuert werden, dass Kosten und Nutzen optimiert werden. Die kritischsten Fehler (die Fehler, die das höchste Geschäftsrisiko in sich tragen) werden bei minimalen Kosten und einem minimalen Zeitaufwand gefunden.
Ein Testprozess muss den Reifegrad "Kontrolliert" erreicht haben, bevor er effizient ablaufen kann. Ein Beispiel: um Testtechniken oder Testwerkzeuge effizient nutzen zu können, muss man wissen, wie sie einzusetzen und zu kontrollieren sind. Der Blick weitet sich auf die Schnittpunkte mit dem Softwareentwicklungsprozess aus. Dies bedeutet im Allgemeinen erhöhte Anforderungen an die Kernbereiche. Hierbei ist es entscheidend, in welchem Umfeld der Testprozess stattfindet. Die Anforderungen an die Planung in einer agilen Umgebung unterscheiden sich wesentlich von denen bei einem traditionellen Vorgehensmodell. In beiden Situationen muss die Planung jedoch eine Referenzkonfiguration aus Aktivitäten und Meilensteinen enthalten, die es dem für den Testprozess verantwortlichen Testmanager ermöglichen, die Einhaltung des Terminplans zu überwachen.“
Um ein möglichst günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis zu erreichen, ist die Bestimmung des Risikos Voraussetzung. Risiko ist das Produkt aus Fehlereintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe. Das kann und sollte man für alle Bereiche der zu schreibenden Software erheben. Mithilfe dieser Bestimmung kann dann priorisiert werden und aufgrund der Priorisierung können dann Ressourcen an Stellen eingesetzt werden, die besonders kritisch sind. Man verlässt also das Gießkannen-Prinzip zugunsten gezielter Verteilung ohnehin immer knapper Ressourcen.
Reifegrad "Optimierend"
Der erreichte Zustand des Testprozesses wird gepflegt, analysiert und sich ändernden Erfordernissen stetig angepasst.
Was das Lehrbuch schreibt (2011:31)
"Wenn die richtigen Aktivitäten auf die richtige Art durchgeführt werden, verschiebt sich der Blickpunkt darauf, dieses Niveau auch in Zukunft zu halten. Dies sollte zu einer Selbstüberprüfung führen, die mithilfe des Demingkreises dargestellt werden kann. Beim Reifegrad "Optimierend" findet dieser Prozess kontinuierlich statt. Der Demingkreis definiert einen Verbesserungsprozess mit den inkrementellen Stufen Planen, Ausführen, Überprüfen und Agieren. Die Kontrollpunkte des Reifegrads "Optimierend" spiegeln die Maßnahmen wider, die notwendig sind, um die Prozessqualität auf dem erreichten Niveau zu halten, insbesondere bei sich verändernden Situationen und Rahmenbedingungen. Zum Beispiel kann nach der erfolgreichen Fertigstellung eines Release die verwendete Teststrategie als Grundlage für ein neues Release dienen. Dabei werden Änderungen der Stakeholder oder Änderungen der Einschätzung der Stakeholder über akzeptable Risiken berücksichtigt,"
Der Schlüsselbegriff hier ist: Kontinuierlicher Verbesserungsprozess, so wie er heutzutage fast überall in der Fertigungsindustrie implementiert ist. In Gedanken kann man noch ergänzen: …in kleinen Schritten…, denn entscheidend sind nicht die "großen Entwürfe", die ohne die Interessen der Stakeholder hinreichend berücksichtigt zu haben, tsunami-artig über allen Beteiligten ausgeschüttet werden. Diese Prozesslawinen stoßen fast immer auf mehr oder weniger ausgeprägte Akzeptanzprobleme, die dann im weiteren Verlauf dazu führen, dass ständig und mit großer Phantasie Wege gesucht werden, die als unsinnig, zeitaufwändig und nicht zielführend ausgemachten Prozessschritte zu umschiffen oder in Gänze zu ignorieren.
Kontrollpunkte
Um die Reife eines Kernbereiches objektiv bestimmen zu können, stellt das Geschäftsbasierte TPI-Modell für jeden Kernbereich Kontrollpunkte zur Verfügung. Zur Erreichung der Reifegrade "Kontrolliert", "Effizient" oder "Optimierend" müssen die jeweils dazugehörenden Kontrollpunkte des Kernbereichs erfüllt werden. Für den Reifegrad "Initial" gibt es keine Kontrollpunkte.
Ein Reifegrad kann nur dann erreicht werden, wenn auch der vorangehende Reifegrad erlangt wurde. Um den Reifegrad "Kontrolliert" zu haben, muss ein Kernbereich alle zugehörigen Kontrollpunkte erfüllen. Das Gleiche gilt für die Reifegrade "Effizient" und "Optimierend". Ein Kernbereich kann nicht "Effizient" sein, wenn noch nicht alle Kontrollpunkte des Reifegrads "Kontrolliert" erfüllt sind. Genauso wenig kann ein Kernbereich "Optimierend" sein, wenn er nicht zuerst "Effizient" ist.
Die Anzahl der Kontrollpunkte pro Kernbereich/Reifegrad-Kombination liegt bei den Reifegraden "Kontrolliert" und "Effizient" bei 3 oder 4. Beim Reifegrad "Optimierend" sind es 2 oder 3 Kontrollpunkte. Die Kontrollpunkte beziehen sich darauf, was erreicht werden soll, nicht wie es erreicht werden soll. Die Verbesserungsvorschläge bieten praktische Ratschläge, wie ein bestimmter Reifegrad für einen Kernbereich erreicht werden kann.
Testreifematrix
Eine Testreifematrix liefert eine Übersicht über alle Kernbereiche mit ihren jeweiligen Reifegraden.
Die Kontrollpunkte sind in der Testreifematrix in einer festgelegten Reihenfolge eingetragen.
Die 16 Kernbereiche sind in der Testreifematrix in den Zeilen der Tabelle aufgeführt; die Reifegrade ("Initial", "Kontrolliert", "Effizient" und "Optimierend") sind in den Spalten dargestellt. Die Kernbereiche sind einer der drei Kategorien "Stakeholderbeziehungen", "Testmanagement" oder "Testkompetenz" zugeordnet.
Für jede Kombination aus Kernbereich und Reifegrad werden in der Testreifematrix die zugehörigen Kontrollpunkte dargestellt.
Ein Beispiel: Der Kernbereich "Engagement der Stakeholder" hat für den Reifegrad "Kontrolliert" 4 Kontrollpunkte, für den Reifegrad "Effizient" 3 Kontrollpunkte und für den Reifegrad "Optimierend" ebenfalls 3 Kontrollpunkte. Die Kontrollpunkte sind in der Matrix entsprechend nummeriert.
Verbesserungsvorschläge
Wird der Entwicklungsbedarf eines einzelnen Kernbereiches erkannt, muss man sich zunächst die Kontrollpunkte ansehen, die noch erfüllt werden müssen, um den geforderten Reifegrad zu erreichen. Eine zusätzliche Unterstützung bieten die für jeden Reifegrad bereitgestellten Verbesserungsvorschläge.
Während sich die Kontrollpunkte darauf beziehen, was erreicht werden muss, wird in den Verbesserungsvorschlägen beschrieben, wie diese Ziele erfüllt werden können. Die Verbesserungsvorschläge geben nicht nur an, wie die Kontrollpunkte erfüllt werden können, sondern enthalten auch zusätzliche, hilfreiche Tipps, die sich nicht direkt auf die Kontrollpunkte beziehen, jedoch im Zusammenhang mit dem Kernbereich stehen.
Die Verbesserungsvorschläge sind anpassbar und optional. Sie sind als Hinweise und Tipps gemeint, und nicht als zwingende Schritte zum Erreichen eines Reifegrades. Die Liste der Vorschläge erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und die Effektivität der einzelnen Vorschläge variiert je nach Umfeld im praktischen Einsatz. Zusätzlich zu den Verbesserungsvorschlägen sollten Informationen aus weiteren Quellen genutzt werden, z.B. aus Fachbüchern.
Quellen
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Carl Hanser Verlag GmbH und Co. KG, QZ-online Reifegradmodelle, abgerufen am 12.02.2024
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TPI NEXT - Geschäftsbasierte Verbesserung des Testprozesses; van Ewijk, Linker, van Oosterwijk, Visser, de Vrie, 1. Auflage 2011, S. 23-39
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Abb. 1 angelehnt an: TPI NEXT - Geschäftsbasierte Verbesserung des Testprozesses; van Ewijk, Linker, van Oosterwijk, Visser, de Vrie, 1. Auflage 2011, S. 24
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Abb. 3 angelehnt an: TPI NEXT - Geschäftsbasierte Verbesserung des Testprozesses; van Ewijk, Linker, van Oosterwijk, Visser, de Vrie, 1. Auflage 2011, S. 35