Digitale Barrierefreiheit

R 2.0.0

Was ist digitale Barrierefreiheit?

Was ist digitale Barrierefreiheit?

Der Grad, zu dem eine Komponente oder ein System von Menschen mit den unterschiedlichsten Eigenschaften und Fähigkeiten gebraucht werden kann, um ein gegebenes Ziel in einem gegebenen Nutzungskontext zu erreichen.

Anwendungsbeispiel

Anwendungsbeispiel
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Heute stand bei Eddy ein Besuch im Bürgerbüro der Stadtverwaltung auf dem Plan. Er hatte vor, seinen Reisepass für den anstehenden Urlaub zu abzuholen. Die Fußgängerampel vor dem schnörkellosen Betonbau erreichte er just in dem Moment, als sie auf Rot umsprang. „Typisch, wie immer“ ärgerte er sich. Der Autoverkehr an der stark befahrenen Straße rollte wieder an und er drückte mehrfach auf den kleinen gelben Kasten am Ampelmast neben ihm. Wollte er doch auf jeden Fall einer der ersten sein, der eine Wartemarke zieht.

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Auf der gegenüberliegenden Seite wartete ein junger Mann, der einen Stock hielt. Ob der blind war? Den Stock nahm er beiseite und hielt mit der rechten Hand den kleinen gelben Kasten an der Unterseite dauerhaft fest. Offenbar erkannte er durch die Berührung, dass er die Straße nicht betreten durfte. Eddy betrachtete den Kasten auf seiner Seite noch einmal genauer. Versehen war er mit dem gelben Kreis und drei schwarzen Punkten. Irrtümlicherweise war er immer davon ausgegangen, dass die Betätigung des Tasters die Ampel schneller auf Grün umschalten lässt. Das Piepen mit gleichzeitiger Vibration an dem Kasten riss ihn aus seinen Gedanken und die Ampel sprang auf Grün. Eddy und sein Gegenüber querten die Straße.

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Vor dem Gebäude angekommen stand eine Frau mit einem Kinderwagen vor dem Eingang, der aufgrund von Bauarbeiten nur über fünf Stufen zu erreichen war. Eddy half, den Wagen hineinzuheben. „Vielen Dank, sehr nett von ihnen. Ist ja nicht gerade barrierefrei hier…​“ sagte sie und verabschiedete sich. Ja, das Thema Barrierefreiheit. Eddy kramte in seiner Tasche und musste feststellen, dass er seine Lesebrille vergessen hatte. In letzter Zeit musste er immer häufiger auf sie zurückgreifen. Ohne Brille konnte er den kleinen Text auf dem Gerät zum Nummernziehen jedenfalls nicht gut erkennen. „Es scheint, das Thema geht uns tatsächlich alle an“, murmelte er.

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Auch im Wartungsteam war das Thema Barrierefreiheit durch einen Kollegen aus dem Fachbereich aufgebracht worden. Daraufhin hatten erste Prüfungen der Software auf Schriftgröße und Farbkontraste stattgefunden, allerdings war das Ganze anschließend nicht vertieft worden. Verschiedene Barrieren gibt es schließlich nicht nur im analogen, sondern auch im digitalen Umfeld. Eddy war bewusst, dass immer mehr wichtige Leistungen wie z.B. bestimmte Behördenvorgänge digitalisiert wurden. So verpflichtet das Onlinezugangsgesetz beispielsweise Bund Länder und Kommunen dazu, ihre Verwaltungsleistungen über Portale auch digital anzubieten. Die verfügbaren digitalen Dienste müssen auch Online für alle Menschen gleichermaßen zugänglich sein, auch wenn die Umsetzung wie bei seinem Reisepass noch nicht vollständig für alle Schritte im Prozess erfolgt ist.

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Wie herausfordernd solche Vorhaben sind, zeigte sich neulich im Familienkreis, als Eddys Vater beim Ausfüllen der Online-Formulare für die Grundsteuererklärung der Verzweiflung nah war. Das lag einerseits an dem schwer zugänglichen Behördendeutsch der Formulare, die so nicht nur für ältere Menschen ein Hindernis darstellten. Andererseits waren es technische Hürden, wie z.B. das benötigte Zertifikat und dessen Einrichtung. Nachdem sein Vater den Vorschlag machte, die Erklärung besser ausnahmsweise auf Papier zu machen, da das Formular dann zumindest keine Fehlermeldung mehr ausgebe, schaltete Eddy sich schließlich ein und konnte zum Glück nach einiger Einarbeitung unterstützen.

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An dem Beispiel zeigte sich, wie wichtig und vielfältig das Thema Barrierefreiheit tatsächlich ist. Der Gesetzgebung war zu entnehmen, dass weltweit gültige Standards nun in der Softwareentwicklung Anwendung finden müssen. Alle Menschen, unabhängig von ihren Einschränkungen, sollen so Zugang zu wichtigen digitalen Informationen erhalten. Für den nächsten Tag plante Eddy, sich noch vor seinem Urlaub intensiver in die digitale Barrierefreiheit einzuarbeiten. Er hatte übrigens auch genügend Zeit, diesen Gedanken zu vertiefen, da der Warteraum bereits gut besucht war und die Nummer 37 auf seinem Ticket nicht versprach, dass er bald an der Reihe sein würde.

Beschreibung

Alle Menschen sollen Internet-Seiten und Apps gut nutzen können. Also zum Beispiel auch Blinde, Gehörlose oder Menschen, deren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Darum sollen Internet-Seiten und Apps barrierefrei sein.

Der o.g. Text definiert im Glossar des International Software Testing Qualifications Board (ISTQB) synonym die Begriffe Barrierefreiheit sowie Zugänglichkeit. Gemäß der internationalen Norm ISO 25010 sind sie dem Qualitätsmerkmal „Benutzbarkeit“ zuzuordnen.

Wer ist betroffen?

Die Lebensführung großer Teile der Bevölkerung ist durch Barrieren eingeschränkt. Hohe Regale beim Einkauf oder nur über Treppen erreichbare Bereiche sind Beispiele für eingeschränkte Zugänge aus der analogen Welt. Im digitalen Umfeld treten häufig Kommunikationsbarrieren auf, z.B. bei schwierigen Behördenformularen oder schlecht nutzbaren Internetseiten und Desktop-Anwendungen.

Die schlechte Nutzbarkeit lässt sich an vielen unterschiedlichen Stellen festmachen und führt im Alltag nicht selten zu Folgefehlern, hier einige Beispiele:

  • fehlende Nutzerführung (z.B. durch Wizards) im Bearbeitungsprozess

  • Abhängigkeiten zwischen Eingabefeldern werden an der Oberfläche nicht berücksichtigt

  • Formulare bestehen aus vielen Freitextfeldern ohne Auswahlmöglichkeiten

  • Bereits eingegebene Daten werden nicht genutzt und müssen wiederholt erfasst werden

  • Eingabeseiten sind im Fachjargon verfasst und daher für die Mehrheit der Nutzer unverständlich (…​)

Ziel der digitalen Barrierefreiheit ist es, allen Menschen gleichberechtigt Zugang zu immer selbstverständlicher werdenden digitalen Angeboten beispielsweise im Zusammenhang mit Behördengängen oder Bankgeschäften im Alltag zu ermöglichen. Die Teilhabe am digitalen Leben, insbesondere für Menschen mit Einschränkungen, soll dadurch erleichtert werden und ist durch die Verankerung in der UN-Behindertenrechtskonvention sogar als Menschenrecht definiert.

Video: Digitale Barrierefreiheit (Länge: 02:44)

Welchen Mehrwert bringt die digitale Barrierefreiheit?

Eine Verringerung von digitalen Barrieren in unserer Umwelt ist gut für alle Menschen - mit und ohne Behinderungen. Dadurch verbessert sich insbesondere die Nutzbarkeit von Software und es entstehen eine Reihe von Vorteilen:

  • Inklusion aller Nutzenden beim effektiven Zugriff auf digitale Inhalte

  • Zufriedene Anwendende durch leicht zu bedienende Software

  • Ablauf standardisierter Geschäftsprozesse ohne aufwendige Fehlerkorrektur

  • Rechtliche Konformität sowie Einhaltung internationaler Standards

  • Verbesserung der Gesamtqualität digitaler Produkte (…)

Bei der digitalen Barrierefreiheit handelt es sich um nicht-funktionale Anforderungen, die mit Zugänglichkeitstests geprüft werden.

Auf welche Bereiche bezieht sich die digitale Barrierefreiheit?

Häufig wird die digitale Barrierefreiheit lediglich mit einem konkreten Teilaspekt der Software in Verbindung gebracht, wie z.B. Schriftgröße oder Farbgestaltung der Anwendung. Der Einfluss dieses Themas auf Projekte in der Softwareentwicklung ist jedoch vielfältig, hier weitere Beispiele:

  • Ist die Anwendung ohne den Einsatz der Maus bedienbar?
    (Motorisch eingeschränkte Menschen oder Blinde sind auf die Tastaturbedienung angewiesen)

  • Stehen Alternativtexte für alle Bedienelemente bereit?
    (Für blinde Nutzende oder wenn das Laden von Grafiken abgeschaltet wurde, treten die Textalternativen an die Stelle der Grafik)

  • Wird genügend Zeit für notwendige Eingaben gewährt?
    (Automatische, nicht abschaltbare Zeitbegrenzungen erschweren das Abschließen von Transaktionen für Nutzende, die mehr Zeit für Eingaben brauchen)

  • Wie wird die Wiedergabe von Videos zugänglich gemacht?
    (Untertitel für Menschen mit Höreinschränkungen bzw. akustische Bild- und Videobeschreibung für sehbehinderte Menschen machen die Inhalte von Bild- und Videosequenzen besser wahrnehmbar) …

Als Standards gelten in der Europäischen Union (EU) die Anforderungen der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1, die in Deutschland durch die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) gesetzlich verbindlich umgesetzt wurden. Eine vollständige Auflistung der maßgeblichen WCAG 2.1 inkl. Begründung der Notwendigkeit liefern die Prüfschritte der BITV-Tests.

Ist das Thema für unser Projekt wichtig?

Die EU-Richtlinie 2016/2102 verpflichtet EU-weit alle öffentlichen Stellen dazu, ihre Webauftritte und mobilen Anwendungen barrierefrei zu gestalten, sowie eine Erklärung zur Barrierefreiheit zu enthalten. Bis zum 28. Juli 2025 sind darüber hinaus die Mitgliedsstaaten dazu angehalten, Dienstleistungen und Zugänge auch im Privatsektor online barrierefrei zu gestalten (EU-Richtlinie 2019/882) und in nationales Recht umzusetzen. Die Überwachungsstellen des Bundes und der Länder überprüfen durch regelmäßige Stichproben die Einhaltung der Vorgaben.

Neben diesen rechtlichen Verpflichtungen steigt die Bedeutung der digitalen Barrierefreiheit in Softwareprojekten zur Verbesserung der Nutzung sowie Erhöhung der Akzeptanz der Produkte.

Einbindung in das Projekt

Was sollte bei der Einbindung des Themas in Projekten bedacht werden? Die digitale Barrierefreiheit und ihre Standards sollten bereits bei der Erhebung der Anforderungen, den anzuwendenden Styleguides und der Entwicklung von Prototypen berücksichtigt werden. Im Entwicklungsprozess sind alle Beteiligte auf das Thema zu sensibilisieren und einzubinden. Definierte Verantwortlichkeiten im Projektteam helfen bei der Beachtung des Themas digitale Barrierefreiheit von Beginn an.

Bei der bedarfsorientierten Umsetzung barrierefreier Softwarelösungen ist die Einbeziehung der Expertise von Betroffenen von essenzieller Bedeutung. Daher ist z.B. der frühzeitige Kontakt zu Schwerbehindertenvertretungen empfehlenswert. Die Einbindung der Experten sollte als inkrementeller Vorgang wiederholt stattfinden. Dies führt zum Wissensaufbau in der Organisation, der insbesondere aufgrund der zeitlich eingeschränkten Verfügbarkeit der Betroffenen projektübergreifend wichtig ist.

Das frühzeitige und regelmäßige Testen in jeder Phase des Prozesses erleichtert die Umsetzung und spart Kosten.

Checklisten und Links zu unterstützenden Werkzeugen helfen bei der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der Selbsttests bzw. offizieller Prüfungen zur digitalen Barrierefreiheit von Anwendungen. Darüber hinaus gilt es auch barrierefreie Dokumente und Dateien zum Download bereitzustellen.

Gesetzliche Grundlagen und Standards

Von welchen gesetzlichen Grundlagen und Standards sollte man im Zusammenhang mit digitaler Barrierefreiheit gehört haben?

Quellen