Digitale Barrierefreiheit
R 2.0.0
Beschreibung
Alle Menschen sollen Internet-Seiten und Apps gut nutzen können. Also zum Beispiel auch Blinde, Gehörlose oder Menschen, deren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Darum sollen Internet-Seiten und Apps barrierefrei sein.
Der o.g. Text definiert im Glossar des International Software Testing Qualifications Board (ISTQB) synonym die Begriffe Barrierefreiheit sowie Zugänglichkeit. Gemäß der internationalen Norm ISO 25010 sind sie dem Qualitätsmerkmal „Benutzbarkeit“ zuzuordnen.
Wer ist betroffen?
Die Lebensführung großer Teile der Bevölkerung ist durch Barrieren eingeschränkt. Hohe Regale beim Einkauf oder nur über Treppen erreichbare Bereiche sind Beispiele für eingeschränkte Zugänge aus der analogen Welt. Im digitalen Umfeld treten häufig Kommunikationsbarrieren auf, z.B. bei schwierigen Behördenformularen oder schlecht nutzbaren Internetseiten und Desktop-Anwendungen.
Die schlechte Nutzbarkeit lässt sich an vielen unterschiedlichen Stellen festmachen und führt im Alltag nicht selten zu Folgefehlern, hier einige Beispiele:
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fehlende Nutzerführung (z.B. durch Wizards) im Bearbeitungsprozess
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Abhängigkeiten zwischen Eingabefeldern werden an der Oberfläche nicht berücksichtigt
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Formulare bestehen aus vielen Freitextfeldern ohne Auswahlmöglichkeiten
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Bereits eingegebene Daten werden nicht genutzt und müssen wiederholt erfasst werden
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Eingabeseiten sind im Fachjargon verfasst und daher für die Mehrheit der Nutzer unverständlich (…)
Ziel der digitalen Barrierefreiheit ist es, allen Menschen gleichberechtigt Zugang zu immer selbstverständlicher werdenden digitalen Angeboten beispielsweise im Zusammenhang mit Behördengängen oder Bankgeschäften im Alltag zu ermöglichen. Die Teilhabe am digitalen Leben, insbesondere für Menschen mit Einschränkungen, soll dadurch erleichtert werden und ist durch die Verankerung in der UN-Behindertenrechtskonvention sogar als Menschenrecht definiert.
Video: Digitale Barrierefreiheit (Länge: 02:44)
Welchen Mehrwert bringt die digitale Barrierefreiheit?
Eine Verringerung von digitalen Barrieren in unserer Umwelt ist gut für alle Menschen - mit und ohne Behinderungen. Dadurch verbessert sich insbesondere die Nutzbarkeit von Software und es entstehen eine Reihe von Vorteilen:
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Inklusion aller Nutzenden beim effektiven Zugriff auf digitale Inhalte
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Zufriedene Anwendende durch leicht zu bedienende Software
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Ablauf standardisierter Geschäftsprozesse ohne aufwendige Fehlerkorrektur
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Rechtliche Konformität sowie Einhaltung internationaler Standards
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Verbesserung der Gesamtqualität digitaler Produkte (…)
Bei der digitalen Barrierefreiheit handelt es sich um nicht-funktionale Anforderungen, die mit Zugänglichkeitstests geprüft werden.
Auf welche Bereiche bezieht sich die digitale Barrierefreiheit?
Häufig wird die digitale Barrierefreiheit lediglich mit einem konkreten Teilaspekt der Software in Verbindung gebracht, wie z.B. Schriftgröße oder Farbgestaltung der Anwendung. Der Einfluss dieses Themas auf Projekte in der Softwareentwicklung ist jedoch vielfältig, hier weitere Beispiele:
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Ist die Anwendung ohne den Einsatz der Maus bedienbar?
(Motorisch eingeschränkte Menschen oder Blinde sind auf die Tastaturbedienung angewiesen) -
Stehen Alternativtexte für alle Bedienelemente bereit?
(Für blinde Nutzende oder wenn das Laden von Grafiken abgeschaltet wurde, treten die Textalternativen an die Stelle der Grafik) -
Wird genügend Zeit für notwendige Eingaben gewährt?
(Automatische, nicht abschaltbare Zeitbegrenzungen erschweren das Abschließen von Transaktionen für Nutzende, die mehr Zeit für Eingaben brauchen) -
Wie wird die Wiedergabe von Videos zugänglich gemacht?
(Untertitel für Menschen mit Höreinschränkungen bzw. akustische Bild- und Videobeschreibung für sehbehinderte Menschen machen die Inhalte von Bild- und Videosequenzen besser wahrnehmbar) …
Als Standards gelten in der Europäischen Union (EU) die Anforderungen der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1, die in Deutschland durch die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) gesetzlich verbindlich umgesetzt wurden. Eine vollständige Auflistung der maßgeblichen WCAG 2.1 inkl. Begründung der Notwendigkeit liefern die Prüfschritte der BITV-Tests.
Ist das Thema für unser Projekt wichtig?
Die EU-Richtlinie 2016/2102 verpflichtet EU-weit alle öffentlichen Stellen dazu, ihre Webauftritte und mobilen Anwendungen barrierefrei zu gestalten, sowie eine Erklärung zur Barrierefreiheit zu enthalten. Bis zum 28. Juli 2025 sind darüber hinaus die Mitgliedsstaaten dazu angehalten, Dienstleistungen und Zugänge auch im Privatsektor online barrierefrei zu gestalten (EU-Richtlinie 2019/882) und in nationales Recht umzusetzen. Die Überwachungsstellen des Bundes und der Länder überprüfen durch regelmäßige Stichproben die Einhaltung der Vorgaben.
Neben diesen rechtlichen Verpflichtungen steigt die Bedeutung der digitalen Barrierefreiheit in Softwareprojekten zur Verbesserung der Nutzung sowie Erhöhung der Akzeptanz der Produkte.
Einbindung in das Projekt
Was sollte bei der Einbindung des Themas in Projekten bedacht werden? Die digitale Barrierefreiheit und ihre Standards sollten bereits bei der Erhebung der Anforderungen, den anzuwendenden Styleguides und der Entwicklung von Prototypen berücksichtigt werden. Im Entwicklungsprozess sind alle Beteiligte auf das Thema zu sensibilisieren und einzubinden. Definierte Verantwortlichkeiten im Projektteam helfen bei der Beachtung des Themas digitale Barrierefreiheit von Beginn an.
Bei der bedarfsorientierten Umsetzung barrierefreier Softwarelösungen ist die Einbeziehung der Expertise von Betroffenen von essenzieller Bedeutung. Daher ist z.B. der frühzeitige Kontakt zu Schwerbehindertenvertretungen empfehlenswert. Die Einbindung der Experten sollte als inkrementeller Vorgang wiederholt stattfinden. Dies führt zum Wissensaufbau in der Organisation, der insbesondere aufgrund der zeitlich eingeschränkten Verfügbarkeit der Betroffenen projektübergreifend wichtig ist.
Das frühzeitige und regelmäßige Testen in jeder Phase des Prozesses erleichtert die Umsetzung und spart Kosten.
Checklisten und Links zu unterstützenden Werkzeugen helfen bei der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der Selbsttests bzw. offizieller Prüfungen zur digitalen Barrierefreiheit von Anwendungen. Darüber hinaus gilt es auch barrierefreie Dokumente und Dateien zum Download bereitzustellen.
Gesetzliche Grundlagen und Standards
Von welchen gesetzlichen Grundlagen und Standards sollte man im Zusammenhang mit digitaler Barrierefreiheit gehört haben?
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UN-Behindertenrechtskonvention (Barrierefreiheit als Menschenrecht)
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Richtlinie (EU) 2016/2102 (Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen)
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Richtlinie (EU) 2019/882 (European Accessibility Act – EAA)
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Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG – nationale Umsetzung des EAA in Deutschland)
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Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG)
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Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0)
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Web Content Accessibility Guidelines (WCAG 2.1)
Quellen
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Abbildungen Anwendungsbeispiel: FLATICON, Freepik Company S.L. Autor*in: juicy_fish, abgerufen am 27.11.2024
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ISTQB Glossary digitale Barrierefreiheit, abgerufen am 01.02.2024
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Deutsches Institut für Menschenrechte, Artikel 9 UN-BRK (Zugänglichkeit), abgerufen am 01.02.2024
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DIAS GmbH, BIK BITV, Verzeichnis der Prüfschritte des BITV Tests, abgerufen am 01.02.2024
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Official Journal of the European Union, EU Richtlinie 2016/2102, abgerufen am 01.02.2024
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Official Journal of the European Union, EU Richtlinie 2019/882, abgerufen am 01.02.2024
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Bundesministerium des Innern und für Heimat, Überwachungsstellen von Bund und Ländern, abgerufen am 01.02.2024
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DIAS GmbH, BIK BITV, Werkzeugliste zum BITV Test, abgerufen am 01.02.2024
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YouTube: youknow GmbH, Digitale Barrierefreiheit, abgerufen am 19.02.2024
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UN-Behindertenrechtskonvention, abgerufen am 19.02.2024